Zumindest Google Workspace User kennen das Feature “Focus Time” – und auch für Microsoft Outlook gibt es entsprechende Lösungen. Und Tools wie Clockwise versuchen dann, das neue Problem kleiner zu machen.
Aber der Reihe nach.
Wer nicht nur meeten sondern auch arbeiten will, braucht störungsfreie Zeit – neudeutsch “Focus Time”.
Früher, vor der Pandemie, blieb man dafür einfach mal zuhause. Oder verzog sich ins Café.
Heute, zur Zeit von Meet Everywhere, klappt das nicht mehr. Deswegen sehe ich bei immer mehr Leuten, dass sie sich “Fokuszeiten” im Kalender eintragen.
Aber: Wenn man diese Leute bittet, mal eine Woche in die Vergangenheit zu gehen, sieht man ganz oft, dass es Meetings inmitten dieser “Fokuszeiten” gibt. Das ist aus meiner Sicht auch nicht weiter überraschend: Denn wie soll das funktionieren, wenn jeder individuell Fokuszeiten blockt und es damit noch schwieriger macht, gemeinsame Zeiten für die synchrone Abstimmung (aka Meeting) zu finden?
Dieses Problem haben auch Tools wie Clockwise verstanden und versprechen die Kalender von Teams dahingehend zu optimieren, dass die Fokuszeiten möglichst synchron genommen werden. Kluge Idee? An sich schon. Aber löst man damit das eigentliche Problem?
Ach so, was ist denn überhaupt das eigentliche Problem?
- Viele von uns haben ein “Meeting First” Mindset entwickelt. Anstatt erst einmal zu versuchen, das Problem asynchron zu lösen (also z.B. in Teams oder Slack oder durch einen Wiki-Artikel eine asynchrone Diskussion anzustoßen), wird direkt ein Meeting mit möglichst vielen Leuten angesetzt (frei nach dem Motto: einer wird schon dabei sein, der es lösen kann).
- Weil alle ständig in Meetings sind, bleibt nur noch wenig Zeit, Probleme asynchron zu lösen. Ergo muss man ein Meeting ansetzen, wenn man ein Problem lösen will (Ihr seht hoffentlich, wo das hinführt).
- Meetings sind zu lange. Die normalen Kalender legen einem nahe, Termine von mindestens 30 eher 60 Minuten anzulegen. Dann muss man auch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sondern hat ausreichend Zeit für das Problem und kann auch noch über andere Dinge quatschen. Meine Erfahrung ist, dass man die meisten Themen auch in 10-15 Minuten sehr effizient klären kann. Und quatschen? Quatschen ist enorm wichtig – aber mit welcher Priorität?
- Meetings haben keine Priorität. Ist Euch das schon mal aufgefallen? Alle Termine, die sich gemächlich in Eurem Kalender breit machen, haben die gleiche Priorität. Ist das nicht schräg? In dieser agilen Zeit, in der sich alles um Geschwindigkeit und Reaktionsschnelle dreht?
Meine Erfahrung ist, dass man viel mehr in viel weniger Zeit schafft, wenn man
- Kürzere Meetings (10-15 Minuten) zu einem singulären Thema ansetzt – und nur mit den zwingend erforderlichen Teilnehmern.
- Wenn die 10-15 Minuten nicht reichen, lieber ein Follow-Up Meeting ansetzt, anstatt das Meeting von vornherein länger zu machen (ein Thema in eine Timebox zu packen hilft wirklich).
- Mit Prioritäten arbeitet. Das geht mit spezieller Software (z.B. Remeet) oder z.B. in dem man bestimmte Farb-Kategorien fest legt. Dabei haben wöchentliche Meeting eine niedrigere Priorität (da sie ja kein konkretes Thema haben) und das gleiche gilt für One-on-One Checkins oder Casual Talks (alles wichtig, aber nicht dringend). Dafür bekommen Meetings, bei denen es um das Problemlösen, das Un-Blocken, usw. geht, eine hohe Priorität.
- Und das Wichtigste zum Schluss: Definiert im Team feste Zeiten, wann Ihr Euch austauschen wollt. Individuelle Zeiten können nicht funktionieren. Und macht es direkt richtig herum: der Großteil Eures Arbeitstages sollte für die eigentliche Arbeit zur Verfügung stehen und nicht von internen Meetings gestört werden. Und wenn ihr im Vertrieb arbeitet, kann das natürlich auch bedeuten, dass Ihr am Stück mal drei Stunden braucht, um Kunden abzutelefonieren. Aber das ist doch produktiver, als in internen Meetings abzuhängen, oder?
Das alles ist keine Theorie, sondern gelebte Praxis. Ich habe als COO eine Firma mit 60 Mitarbeitern geführt und habe nur zwei Stunden pro Tag in internen Meetings verbracht – und das, obwohl ich mit jedem Team Mitglied einmal im Halbjahr einen Smalltalk hatte! Allerdings haben wir die Termine auch nicht mehr von Hand geplant, sondern das besagter Software (Remeet) überlassen.